Überall in der Gesellschaft wurde der zentralisierende Organisationsstil so weit vorangetrieben, daß er unwirksam geworden und auf wirtschaftlichem Gebiet verschwenderisch ist; er verdummt die Menschen und ruiniert die Demokratie. Es gibt überzentralisierte Systeme in der Industrie, in der Regierung, im Kulturbetrieb und in der Landwirtschaft. Die enge Verflechtung dieser Systeme hat eine Situation geschaffen, in der auch nur eine bescheidene, direkte und unabhängige Handlungsweise auf jedem Gebiet äußerst schwierig geworden ist. Das einzige Heilmittel dafür ist eine starke Dosis Dezentralisierung. Die Frage ist, wo soll man sie verabreichen, wieviel und wie dabei vorgehen.

Lassen Sie mich einige grob umrissene Definitionen geben. In einem zentralisierten Unternehmen ist die zu leistende Aufgabe das Ziel einer Organisation und nicht das von Personen (es sei denn, diese identifizierten sich mit der Organisation). Die Personen sind Personal. Die Autorität führt von der Spitze nach unten. Informationen werden unten an der Basis gesammelt, verarbeitet und für die Spitze auswertbar gemacht; Entscheidungen werden in Hauptquartieren getroffen; politische Richtlinien, Zeitpläne und einheitliches Vorgehen werden über eine Kommandokette nach unten weitergegeben. Das Gesamtunternehmen ist in Operationsgebiete aufgeteilt, denen Personal mit bestimmten Rollen und einheitlichen Leistungen zugeteilt wird. Nach diesem Schema wird in Mr. Goldwaters Fachgeschäft verfahren, ebenso wie bei General Motors, bei der Automobilarbeitergewerkschaft, in den New Yorker Volksschulen und in vielen Universitäten, in den meisten Krankenhäusern, bei Wohnbau- und Erneuerungsprogrammen, beim Rundfunk und in der Nachrichtenagentur Associated Press, und in den Verträgen, die Supermärkte mit den Bauern abschließen. Das System wurde geschaffen, um Armeen zu disziplinieren, um Karteien anzulegen, Steuern einzutreiben und bürokratische Funktionen zu verrichten, außerdem für verschiedene Formen der Massenproduktion. Heute ist es allumfassend geworden.

Das Prinzip der Dezentralisierung beruht darauf, daß Menschen eine gewisse Funktion ausüben; die Organisation ist ihre Form der Zusammenarbeit. Autorität wird so oft wie möglich von der Spitze weg delegiert, und es gibt viele Sammlungszentren, wo politische Richtlinien ausgearbeitet und Entscheidungen getroffen werden. Informationen werden in direkten Kontakten zwischen dem breiten Feld der Basis und dem Hauptquartier vermittelt und erörtert. Jede Einzelperson wird sich zunehmend des ganzen Unternehmens bewußt und arbeitet daran auf ihre Weise mit, nach ihren Möglichkeiten. Gruppen arbeiten ihre eigenen Zeitpläne aus. Historisch betrachtet, hat dieses System der freiwilligen Zusammenarbeit die meisten Werte der Zivilisation hervorgebracht, aber es wird als völlig unbrauchbar bezeichnet unter modernen Bedingungen, und schon der Begriff hat einen fremden Klang ...

Dezentralisierung heißt nicht Mangel an Ordnung oder Planung, sie ist vielmehr eine Art der Koordinierung, die, auf verschiedenen Motivationen aufbauend, wie Leitung von oben nach unten, Standardregeln und äußerlichen Belohnungen wie Gehälter und Status, Integration und Zusammenhalt zu erreichen trachtet. Sie bedeutet nicht „Anarchie“. (Aber die meisten Anarchisten, wie die Anarcho-Syndikalisten oder die Gemeinschaftsanarchisten (community-anarchist) waren natürlich keine „Anarchisten“ sondern Dezentralisten) ...

„Wie kann man die Flugsicherung dezentralisieren?“ fragt ein Schüler.

Man kann es nicht. Es gibt viele Funktionen, die ihrer Natur nach zentral sind, und es ist nützlich, einige der Hauptspielarten aufzuzählen.

Eine zentrale Macht ist dort notwendig, wo es keine Bezirksgrenzen gibt und etwas Konstruktives getan werden muß, wie etwa bei der Bekämpfung von Epidemien oder bei der Smog-Bekämpfung; oder dort, wo eine willkürliche Entscheidung notwendig, aber keine Zeit zu Überlegungen vorhanden ist, wie bei der Verkehrskontrolle; oder wenn es gilt, für ein ganzes Gebiet willkürliche Richtlinien aufzustellen, die besonderen Richtlinien aber gleichgültig sind, z. B. bei Gewichten und Maßen von Geld. Zentralisierung ist zeitweise notwendig, wenn ein Notfall die Konzentrierung aller Kräfte zu einer gemeinsamen Aktion erfordert. Aber die Geschichte hat gezeigt, daß solche Not-Zentralisierungen fatal sein können, denn die zentralisierte Organisation neigt dazu, den Notfall zu überleben, und dann produziert allein ihre Existenz schon einen permanenten Notstand; die Leute werden sehr bald hilflos und müssen erst gesagt bekommen, was sie zu tun haben.

Eine zentrale Macht erweist sich als praktisch, wenn es darum geht, Routine - oder „reine“ administrative Funktionen zu erfüllen, die Menschen aber wichtigere Dinge zu tun haben.

Dies ist die marxistische Theorie vom Zurückdrängen des Staates auf die „reine“ Administration. Aber auch das kann fatale Auswirkungen haben, denn die Administration bemächtigt sich sehr bald schon aller Funktionen. So kommt es, daß der Verwaltungssekretär einer Organisation am Ende den Betrieb leitet.

Zentrale Organisation ist dort das rationalste System, wo die Strategie der Gesamtsituation gegenüber den Überlegungen der damit verbundenen konkreten Einzelheiten überwiegt. Das gilt für alle Fälle von Verkehrsstrafen und Steuererhebung, wo eine Person der anderen gleich ist ... Ich bin der Meinung, dasselbe gilt auch für die Massenproduktion und -Verteilung von jedem Standardprodukt, das gut genug ist und das jeder braucht.

Daneben gibt es Monopole, die von einer zentralen (oder verstaatlichten) Macht reguliert und kontrolliert werden müssen, weil man ihnen in ihrer Zielsetzung kein Gegengewicht entgegensetzen kann. Einige Monopole sind ganz natürlich oder werden es durch die Umstände, wie etwa die städtische Wasserversorgung. Einige Unternehmen werden monopolistisch, weil sie derart viel Kapital verschlingen, daß eine Konkurrenz zu ihnen gefährlich, riskant und verschwenderisch wäre. Sie wachsen, bis sie zu einer unausweichlichen und natürlichen Sache werden und müssen dann entsprechend reguliert werden. Die Eisenbahnen Europas z. B. waren dezentralistisch geplant und gebaut worden mit freiwilligen Vereinbarungen über Spurweite und Fahrpläne; aber schließlich wurden sie als Monopole verstaatlicht und zum Teil internationalisiert.

Mehr lesen (anarchismus.at)