I. Arbeiterunruhen in Petrograd

Es war im Beginn von 1921. Lange Jahre Krieg, Revolution und innere Kämpfe hatten Rußland bis zur Erschöpfung zur Ader gelassen und sein Volk an den Rand der Verzweiflung gebracht. Endlich aber war der Bürgerkrieg zu Ende: die zahlreichen Fronten waren aufgelöst und Wrangel - die letzte Hoffnung der Intervention der Entente und der russischen Gegenrevolution - war besiegt und seine militärische Tätigkeit auf russischem Grund und Boden zum Ende gebracht. Das Volk sah nun vertrauensvoll einer Milderung des strengen bolschewistischen Regiments entgegen. Man erwartete, daß nach Beendigung des Bürgerkrieges die Kommunisten die Lasten erleichtern, Einschränkungen aus der Kriegszeit abschaffen, einige grundlegende Freiheiten einführen und mit der Organisation eines normaleren Lebens einen Anfang machen würden. Die bolschewistische Regierung war zwar weit entfernt davon populär zu sein, hatte aber die Unterstützung der Arbeiter in ihrem oft angekündigten Plan der Aufnahme des ökonomischen Wiederaufbaus des Landes, sobald nur die militärischen Operationen aufgehört hätten. Das Volk war begierig, mitzuarbeiten, seine Initiative und schöpferischen Bemühungen dem Aufbau des ruinierten Landes zu widmen.

Unglücklicherweise waren diese Erwartungen dazu verurteilt, enttäuscht zu werden. Der kommunistische Staat zeigte keine Absicht, das Joch zu lockern. Die alte Politik wurde fortgesetzt, die Arbeitsmilitarisierung versklavte das Volk immer weiter, erbitterte es durch neue Unterdrückung und Tyrannisierung und lähmte daher jede Möglichkeit einer Wiederbelebung der Industrie. Die letzte Hoffnung des Proletariats ging unter: die Überzeugung wuchs, daß die kommunistische Partei ein größeres Interesse daran hatte, die politische Macht in ihrem Besitz zu behalten, als die Revolution zu retten.

Die revolutionärsten Elemente Rußlands, die Arbeiter von Petrograd, erhoben zuerst ihre Stimme. Sie erhoben den Vorwurf, daß von anderen Ursachen abgesehen, die bolschewistische Zentralisation, Bürokratie und das autokratische Verhalten gegen die Bauern und Arbeiter direkt für einen großen Teil des Elends und Leidens des Volkes verantwortlich wären. Viele Werke und Fabriken von Petrograd waren geschlossen worden und die Arbeiter litten buchstäblich Hunger. Ihre zur Erwägung der Lage einberufenen Versammlungen wurden von der Regierung unterdrückt. Das Proletariat von Petrograd, das in der ersten Linie der revolutionären Kämpfe gestanden, und dessen große Opfer und Heroismus allein die Stadt vor Judenitsch gerettet hatten, empfand Unwille gegen dieses Vorgehen der Regierung. Die Mißstimmung gegen die von den Bolschewiki befolgten Methoden wuchs beständig. Weitere Versammlungen wurden einberufen und das gleiche geschah. Die Kommunisten wollten dem Proletariat keine Zugeständnisse machen, während sie zu gleicher Zeit zu Kompromissen mit den europäischen und amerikanischen Kapitalisten erbötig waren. Die Arbeiter wurden ungehalten und es entstand Aufregung. Um die Regierung zu zwingen, ihren Forderungen Rechnung zu tragen, wurden Streiks proklamiert in den Patronnys Munitionswerkstätten, den Trubotschny- und Baltiyskiwerken und der Fabrik Laferme. Statt die Verhältnisse mit den unzufriedenen Arbeitern zu besprechen, setzte die „Arbeiter- und Bauernregierung“ ein kriegsmäßiges Komitet Oborony (Verteidigungskomitee) ein mit Zinowiew, dem verhaßtesten Mann von Petrograd, als Vorsitzenden. Das offene Ziel dieses Komitees war die Unterdrückung der Streikbewegung.

Am 24. Februar waren die Streiks erklärt worden. Am selben Tage schickten die Bolschewisten die Kursanti, die kommunistischen Studierenden der Militärakademie (Drilloffiziere für Armee und Flotte) aus, um die auf dem Wassilewsky Ostrow, dem Petrograder Arbeiterdistrikt angesammelten Arbeiter zu zerstreuen. Den Tag darauf, am 25., suchten die entrüsteten Streiker vom Wassilewsky Ostrow die Admiralitätswerkstätten und Galernaya-Docks auf und veranlaßten die dortigen Arbeiter, sich ihrem Protest gegen das autokratische Verhalten der Regierung anzuschließen. Die versuchte Straßendemonstration der Streikenden wurde von bewaffneten Soldaten zerstreut.

Am 26. Februar hielt der Petrograder Sowjet eine Sitzung ab, in welcher der hervorragende Kommunist Laschewitsch, Mitglied des Verteidigungskomitees und des revolutionären Militärrats der Republik, die Streikbewegung in den schärfsten Ausdrücken angriff. Er beschuldigte die Arbeiter der Trubotschny-Fabrik zur Unzufriedenheit aufzureizen, klagte sie an „..selbstsüchtige Arbeitsschinder (schkurniki) und Gegenrevolutionäre“ zu sein und schlug die Schließung der Trubotschny-Fabrik vor. Das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets (Vorsitzender Zinowiew) nahm den Vorschlag an. Die Trubotschny-Streiker wurden ausgesperrt und so automatisch ihrer Rationen beraubt.

Diese Art des Vorgehens der bolschewistischen Regierung führte zu weiterer Erbitterung und Gegnerschaft der Arbeiter.

Proklamationen der Streikenden begannen sich jetzt in den Straßen von Petrograd zu zeigen. Einige derselben nahmen ausgesprochenen politischen Charakter an; so liest man in der bezeichnendsten derselben, die am 27. Februar an die Mauern geklebt wurde:

Eine vollständige Änderung der Regierungspolitik ist notwendig. Zu allererst brauchen die Arbeiter und Bauern Freiheit. Sie wollen nicht nach den Dekreten der Bolschewiki leben, sie wollen selbst über sich verfügen.

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